Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Seit 2015 bietet die BRUETERICH PRESS von Ulf Stolterfoht ein Forum für Werke, die sich einer „Ästhetik der Renitenz“ (Michael Braun), einer gedankenbefeuernden Widerständigkeit, verschreiben. Zwei solcher Stimmen führt der Abend zusammen. Dieter M. Gräf, geboren 1960, seit seiner Frühphase ein historisch-politisch reflektierender Dichter, verbindet in seinem neuen Band Falsches Rot eine Vielzahl lyrischer Formen mit Fotostrecken und poetische Reflexionen mit Quellenzitaten, um sie in Wunden der deutschen Geschichte zu legen: von den blutigen Geschehnissen um das Münsteraner Täuferreich im 16. Jahrhundert über die deutsche Teilung bis zur RAF. Der Autor, Herausgeber und Übersetzer Hans Thill, geboren 1954, dessen Ratgeber für Zeugleute als erstes Buch der BRUETERICH PRESS erschien, ist einer wenigen der deutschen Zeitgenossen, die das Erbe des Surrealismus kreativ verinnerlicht haben: in einer charakteristischen Verbindung von hinreißend sprach- und lautspielerischem Nonsens mit existentieller Abgründigkeit. Michael Braun, geboren 1958, ist der aktivste Vermittler der Gegenwartslyrik in Deutschland; zusammen mit Hans Thill hat er vier wegweisende Anthologien zu deutscher Lyrik seit den 1980er Jahren vorgelegt, zuletzt: Aus Mangel an Beweisen (Wunderhorn 2018).
Wir haben viel Spaß gehabt:
Er saß am Steuer, so gut
wie immer, & wenn
er mal mit der Ensslin wechselte,
war‘s ein Spektakel bei laufender
Fahrt. Den Rückspiegel nutzte er,
um sich‘s Gesicht zu pudern;
alle zugekifft & die Proll
übersang das Autoradio.
Dies ist der Forschung
letzter Stand. […]
Dieter M. Gräf, Falsches Rot, BRUETERICH PRESS 2015, S. 169.
Ratgeber für Hamster, für Zwecken. Kauf dir
ein Dorf mit Würsten. Ratgeber für Zeugleute.
Und zähle an den sechzig Fingern deine
Restminuten. Ratgeber für Feige,
für Stieglitze. Zweimal dein ist immernoch
zu klein. Das Brot sitzt dir im Nacken,
die runden Augen der Kassiererinnen.
Ratgeber für Liebäugler, für Mucker.
Zeige dich, vergnüge dich mit Tieren.
Hans Thill, Ratgeber für Zeugleute, BRUETERICH PRESS 2015, S. 101.
Der doppelte Horizont:
Für eine Ästhetik der Renitenz
Dieter M. Gräf
und
Hans Thill
lesen aus ihren
Gedichten
Moderation:
Michael Braun
Lyrik-Bibliothek
Amalienstr. 83a
80799 München
und von Bayern liest e.V.
Eintritt: € 8 / erm. € 6
Mitglieder Lyrik Kabinett: freier Eintritt
Abendkasse, freie Platzwahl