Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Das finnische Epos Kalevala beruht auf in Karelien gesammelter Volksdichtung, die in Gesangsform mit eigenständigem Versmaß über 2000 Jahre lang tradiert und bewahrt wurde. Das dem Wortakzent folgende Kalevala-Versmaß ist ein trochäischer Vierheber, beim Singen weisen die Verse meist einen Rhythmus von vier oder fünf Takten auf, die Melodien bewegen sich meist in einer Skala von fünf Tönen. Diese uralte Volksdichtung ist keine einheitliche, zu einer bestimmten Epoche entstandene Dichtung, sie weist vielmehr Schichten unterschiedlichen Alters auf und umfaßt Mythen- und Heldenlieder, Ritenlieder und Zaubersprüche, aber auch lyrische Lieder, die persönlichen Gefühlen und Stimmungen Ausdruck verleihen. Der Finne Elias Lönnrot unternahm im letzten Jahrhundert mehrere Reisen, auf denen er die Lieder sammelte. 1835 erschien die erste Auflage des Kalevala, 1849 eine zweite, erweiterte Auflage, in der Lönnrot die Lieder auch einer Ordnung unterwarf und so die Sammlung zu einem großen Epos zusammenschloß. Den 150. Geburtstag dieses Werkes feiern die Finnen in diesem Jahr.
Das Kalevala stärkte das Selbstbewußtsein der Finnen im 19. Jahrhundert und den Glauben an die Möglichkeiten ihrer eigenen Sprache und Kultur - es wurde zum Nationalepos der Finnen, zugleich aber auch ein Teil der internationalen Eposfamilie. In seiner heutigen Gestalt wäre es ohne den Einfluß älterer, vor allem antiker Epen kaum entstanden. Andererseits hat es seinerseits Form und Struktur später erschienener Epen beeinflußt. Für finnische Komponisten wurde es bald zu einer Quelle der Inspiration (Jean Sibelius), auch die zeitgenössische Kunst beschäftigt sich ungebrochen mit der Interpretation seiner unendlichen Vielfalt. Es wurde in über 51 Sprachen übersetzt, die erste Übersetzung der erweiterten Auflage war übrigens eine deutschsprachige Fassung, die 1852 erschien.
Anneli Asplund wird aus dem Kalevala lesen, zur Entstehung des Epos sprechen, Videos aus den karelischen Liedgebieten zeigen und den heute noch tradierten Sprechge-sang anhand von Tonbändern zu Gehör bringen.
Dritter Gesang
1 – 20
Väinämöinen alt und wahrhaft lebte nun sein langes Leben
Auf den Weiden von Väinölä, Kalevalas kargen Fluren,
Sang beständig seine Lieder, sang und übte seine Künste.
Tag für Tag sang er die Weisen, viele Nächte nacheinander
Das Gedächtnis alter Zeiten, jene tiefen Ursprungsworte,
Die nicht alle Kinder können, Männer nicht einmal verstehen
Jetzt in diesen trüben Tagen, an dem schlimmen Schluß der Zeiten.
Weithin wanderte die Nachricht, weit verbreitet´sich die Botschaft
Von den Weisen Väinämöinens, von der Zaubermacht des Mannes.
Botschaft breitet´ sich nach Süden, Nachricht kam auch nach dem Nordland.
Vaka vanha Väinämöinen elelevi aikojansa
noilla Väinölän ahoilla, Kalevalan kankahilla.
Laulelevi virsiänsä, laulelevi, taitelevi.
Lauloi päivät pääksytysten, yhytysten yöt saneli,
muinaisia muisteloita, noita syntyjä syviä,
joit´ei laula kaikki lapset, ymmärrä yhet urohot,
tällä inhalla iällä, katovalla kannikalla.
Kauas kuuluvi sanoma, ulos viestit vierähtävät,
Väinämöisen laulannasta, urohon osoannasta.
Viestit vierähti suvehen, sai sanomat Pohjolahan.
Das Kalevala
Mythologie und Realität
Lesung (finnisch/deutsch)
und Vortrag (Tonband und Video) von
Anneli Asplund
Folklore-Archiv der Finnischen Literaturgesellschaft
in Helsinki
Einführung: Ingrid Schellbach-Kopra
Institut für Finnougristik München
Ritva Sjöstedt (Klavier) spielt Werke von Jean Siblius.
IBZ - Internationales Begegnungszentrum
der Wissenschaft, Amalienstr. 38
(U 3 / U 6 Universität)
Im Anschluß an die Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Finnougristik.
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats/Literatur
Eintritt: DM 10,- / DM 7,-
Mitglieder Lyrik Kabinett und IBZ: frei