Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
„Venclovas Lied beginnt dort, wo die Stimme sonst gewöhnlich abbricht, sich verausgabt hat und wo alle seelischen Kräfte erschöpft sind“, so Joseph Brodsky. Tomas Venclova, geb. 1937 im litauischen Klaipeda, wuchs – nach den Aufständen in Ungarn und Polen 1956 – geistig in die entstehende Dissidenten-Szene hinein und setzte sich aktiv für die Menschenrechte ein (u.a. als Mitbegründer der litauischen Helsinki-Gruppe).
1977 gelang ihm u.a. dank der Vermittlung von C. Miłosz die Emigration in die USA. 1980-2012 unterrichtete er slawische Literatur in Yale. Sein lyrisches und essayistisches Werk entstand überwiegend im Exil. Achmatowa, Brodsky und Miłosz (mit denen ihn enge Freundschaften verbanden), Pasternak, Mandelstam, Baudelaire, Pound und Eliot u.a. wurden von ihm ins Litauische übersetzt.
Auf Deutsch liegen von ihm vor: die Gedichtbände Vor der Tür das Ende der Welt (2002), Gespräche im Winter (2007) sowie das Stadtporträt Vilnius – Eine Stadt in Europa (2006).
Seit 2012, dem Jahr seines 75. Geburtstags, ist Venclova Gast des Berliner Künstlerpogramms des DAAD.
Doppelte Belichtung
Reuig der Schneesturm, lang war das Meer nicht in seiner Gewalt,
Der gestrige Nordwind hat sich verausgabt beim Brausen,
Unterm Eis blinken Fische, unsichtbar; schneller als Schall
Breitet die Stille sich in den Schneewehen aus.
Die Zeit, vom Gedächtnis nicht aufzuhalten, zerrinnt
Durch die Nadeln der Bäume. So verliert der gesprungene
Tonkrug das Wasser, so wird das Blau am Himmel verdünnt,
So wird der Glockenturmzeiger von einem Nebel bezwungen,
In dem Wange und Schnee sich nicht unterscheiden, eine Tanne
Von einem Menschen. So zieht die Hand, zum Flußdelta werdend,
Das Tauwetter an. So begnügt sich das Auge, februarblank, abgewandt
Vom leeren Himmel, mit der Leere auf Erden.
Tomas Venclova,
aus: Gespräch im Winter. Gedichte.
Aus dem Litauischen von Claudia Sinnig und Durs Grünbein
(Suhrkamp 2007).
„Die poetische Stimme Litauens“
Tomas Venclova
(geb. 1937)
Einführung und Lesung der deutschen Texte:
Michael Krüger
Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3/U6 Haltestelle Universität)
In Zusammenarbeit mit dem Künstlerprogramm
des DAAD
Eintritt: €7,00 / €5,00
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei