Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Mit ihrem Gedichtband „Die Bettlerschale“, 1956, wurde Christine Lavant im deutschsprachigen Raum bekannt. Sie erhielt bedeutende Preise (u.a. 1954 und 1964 den Georg Trakl-Preis für Lyrik, 1963 die Ehrengabe der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 1970 den großen österreichischen Staatspreis), nahm an „Dichtertagungen“ teil, veröffentlichte in der renommierten Reihe „Neue Lyrik“ des Otto Mül-ler Verlags („Die Bettlerschale“, „Spindel im Mond“ 1959, „Der Pfauenschrei“ 1962). Gleichwohl hatte sie ihren eigentlichen Standort nicht im Literaturbetrieb, sondern in ihrem Heimatort St. Stefan im Lavanttal, ein Bergbaudorf in einer „Industriegegend“, wie sie selbst schreibt. Ihr Vater hatte dort im Bergwerk gearbeitet. Ihre Kindheit mit Krankheit und Armut, aber auch in einer geborgenen Familienstruktur beschreibt sie in ihren Erzählungen (u.a. „Das Kind“, 1948). In ihren zunächst so abstrakt wirkenden Gedichten kann man oft den „Haldenrauch“ des 1966 stillgelegten Bergwerks noch riechen, die Birnbäume vor ihrem Fenster sehen, den „Föhn im Gedächtnis“ spüren. Mit dem Kopftuch schützte sie ihren zugluftempfindlichen Kopf, leistete aber auch dem Image der „Weltabgewandten“ Vorschub. Doch zeigt ihre umfassende Korres-pondenz (über 1200 Briefe der Dichterin lassen als praktisch einzige erhaltene biographische Dokumente erstmals ein genaueres Erfassen ihres Lebens zu), welche großen Entfernungen sie auf diese Weise überbrückte. Die Briefe zeigen Aus-maß und Weite ihrer Lektüre und ihre intensive Beschäftigung mit spirituellen Angeboten aller Art und Herkunft – wovon sich vieles in ihrer Lyrik spiegelt. Sie trug ihre Texte nie selbst vor, doch war sie, soweit es ihre Gesundheit zuließ, anwesend. Eine der ersten InterpretInnen war Margit Jautz.
Margit Jautz, Schauspielerin am Schauspielhaus in Graz, Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz, langjährige Sprecherin des Österreichischen Rundfunks (Literatur, Hörspiele).
Dr. Ursula Schneider und Dr. Annette Steinsiek erarbeiten am Forschungsinstitut Brenner-Archiv (Innsbruck) den „Kommentierten Gesamtbriefwechsel Christine Lavants“ und die Biographie der Dichterin. Mitarbeit an der Kritischen Werkausgabe im Otto Müller Verlag, Salzburg.
ICH SUCHE die Wiege der Welt.
Ein Knochen im Rückenmark weiß
den Weg und das Lied und den Preis
und das Sternbild, das alles verstellt.
Noch ist da ein Makel im Schritt.
Es richtet sich alles erst ein,
auch der Atern muß gründlicher sein,
dann bringt er die Muttermilch mit.
Wie vertraut jeder Vogel jetzt schreit,
denn mein Herz horcht im Eigelb der Brut
und gleichzeitig drängt sich mein Blut
durch das Kernhaus im Apfel der Zeit.
Nur die Stirne bleibt einsam und hier,
sie zerbröselt ihr Denken im Wind
und hofft so, die Wiege samt Kind
auf dem Rückweg zu finden bei dir.
Christine Lavant, aus: Spindel im Mond (1956)
Ich suche die Wiege der Welt
Christine Lavant
(1915-1973):
Die Gedichte
Vorgestellt von:
Ursula Schneider und Annette Steinsiek
Die Gedichte liest Margit Jautz
Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3/U6 Haltestelle Universität)
In Zusammenarbeit mit der KünstlerSeelsorge der Erzdiözese München und Freising
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats
Eintritt: €5,50 / €3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett und der KünstlerSeelsorge: frei