Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Der Mond ist in China nicht nur für die Berechnung des traditionellen Kalenderjahres der maßgebende Himmelskörper, sondern wohl überhaupt das vielseitigste Symbol. Lyrik als herkömmliche Kunstgattung steht mehrfach im Zeichen und im Zeitmaß des Mondes: die starke Gebundenheit des Dichters an den Wandel und Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten verwebt Stimmungen und Ereignisse und gibt eine variable Zeitstruktur vor, an der die poetische Wahrnehmung ihre Substanz findet. Der Mond ist überdies die Quelle des anderen Lichts, das naturgegebene Urbild des unendlichen Spiegels, das sich selbst reflektiert. Nicht die schöpferische Antriebskraft, sondern das zurückstrahlende Wiedergeben einer längst vollendeten Schöpfung darf als einer der tragenden Pfeiler der literarischen Tradition Chinas bezeichnet werden, deren Lehrer Konfuzius die Überlieferung dem Neuerschaffenen voranstellte.
Der Sommer beginnt nach altem Kalender mit dem „Schaukelfest“ (Sonnwendfeier) am 5. Tag des 5. Monats, für uns also Mitte Juni. Längere Regenperioden gehen in immer wärmeres, schließlich heißes Klima über. In die stickige Luft feuchter Böden mischt sich Staub. Vielleicht ist auch das Ursache für die soviel geringere Anzahl von „Sommergedichten“. So finden sich unter ihnen häufig solche, in denen die drückende Schwüle dieser oder jener Seelenlast zuschreibbar erscheint. Auch in den Rhythmen klingt oft ein zäherer, hingehaltener Ton nach, der mit dem Leiden so eng verwandt ist, daß selbst leidenschaftlichheftiges Empfinden sich ihm angleichen muß.
Frank Kraushaar, geb. 1967 in Duisburg, promov. im Fach Sinologie (Univ. Hamburg). Seit 2001 Mitarbeiter des Lyrik-Kabinetts. Die in dieser Reihe vorgestellten Gedichte trägt er in seiner eigenen Übersetzung vor.
Zhu Jianqing, geb. 1974 in Shanghai, studiert seit 1997 Sinologie in München.
Eines Sommertags am Südpavillon. Gedanken an Xinda
Meng Haoran (689-740)
Sinkt der Glanz der Berge jäh nach Westen,
Steigt der Mond am Weiher lang von Osten.
Im gelösten Haar die Abendkühle –
Stille ruhen in der Tür am Pfosten.
Lotoswind bringt Duft und Hauch herüber,
Bambustau klingt hell in feinen Tropfen.
Um dazu den Laut der Qin zu schlagen,
Fehlen leider die, die davon kosten.
Das führt mich dem Freund zu in Gedanken,
Die um Mitternacht den Traum belasten.
Aus dem Chinesischen von Frank Kraushaar
Im Zeitmaß des Mondes
Klassische chinesische Dichtung
II. Gedichte der Sommerzeit
(chinesisch/deutsch)
Vorgestellt und übersetzt von:
Frank Kraushaar
Die chinesischen Texte liest: Zhu Jianqing
Der dritte und vierte Abend dieser Reihe finden im Herbst bzw. im Winter statt.
Lyrik-Bibliothek, Schellingstr. 3 / Rgb.
(U 3 / U 6 Universität)
Nach der Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats/Literatur
Eintritt: €5,50 / €3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei