Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
... „Se per questo cieco
carcere vai per altezza d’ingegno
mio figlio ov’è, perché non è teco?“ (Inf., X, 58-63)
(Wenn Du aufgrund der Größe Deines Geistes durch diesen düsteren Kerker schreitest, wo ist mein Sohn, warum ist er nicht bei Dir?)
Mit diesen Worten wird der Wanderer Dante im Höllenkreis der Häretiker von dem Florentiner Cavalcante de’ Cavalcanti empfangen.
Guido Cavalcanti, Cavalcantes Sohn, den Dante selbst in seinem Jugendwerk Vita nuova den „ersten seiner Freunde“ nannte und der später sein Widersacher werden sollte, ist einer der bemerkenswertesten Lyriker des europäischen Mittelalters. Im Jahre 1300, als Dante in Florenz eines der beiden Priorenämter inne hatte und somit mitverantwortlich für politische Entscheidungen war, wurde Cavalcanti als einer der Aufrührer in den Florentiner Parteikämpfen in die Verbannung geschickt und starb Ende August des Jahres wahrscheinlich in Sarzana an der Grenze zum heutigen Ligurien. Im 20. Jahrhundert schätzten zahlreiche namhafte Autoren das dichterische ‚andere Auge von Florenz: etwa E. Pound, T. S. Eliot, J. Joyce, R. Borchardt, G. Caproni und I. Calvino. Ausgehend von der vieldiskutierten Inferno-Stelle und Cavalcantis schwierigem Verhältnis zu Dante, soll dieser Dichter in einer kommentierten Lektüre einiger seiner wichtigsten Texte vorgestellt werden.
Tobias Eisermann, geb. 1959, der Cavalcantis Gedichte übersetzte, unterrichtete zehn Jahre Italianistik an verschiedenen Universitäten (Bonn, Florenz, München). Er arbeitet als freier Kulturjournalist (mit Schwerpunkt Italien) und als literarischer Übersetzer.
Chi è questa che vèn, ch’ogn’om la mira,
che fa tremar di chiaritate l’âre
e mena seco Amor, sì che parlare
null’omo pote, ma ciascun sospira?
O Deo, che sembra quando li occhi gira!
dical’ Amor, ch’i’ nol savria contare:
cotanto d’umiltà donna mi pare,
ch’ogn’altra ver’ di lei i’ la chiam’ ira.
Wer könnte ihren Zauber denn erklären!
Jedwede hohe Tugend beugt sich ihr,
die Schönheit macht sie einer Göttin gleich.
Ach, unser schlichter Geist ist nicht so reich,
die Gnade ward uns nicht geschenkt, daß wir
des letzten Wissens auch teilhaftig wären.
Guido Cavalcanti, Rime
hrsg. und übertragen von T. Eisermann
und W. Kopelke, Tübingen: 1990
„l’altro occhio di Firenze“
Guido Cavalcanti
(vor 1260 – 1300)
Vorgestellt von
Tobias Eisermann
Eine Veranstaltung im Rahmen der ‚Lectura Dantis‘
(unter Leitung von Pia-Elisabeth Leuschner)
Lyrik-Bibliothek, Schellingstr. 3 / Rgb.
(U 3 / U 6 Universität)
Nach der Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats/Literatur
Eintritt: €5,50 / €3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei