Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Zahllose Glanzlichter der Poesie des 20.Jahrhunderts haben uns russische Dichter geschenkt. Marina Zwetajewa - als eine der großen Liebenden der Weltliteratur, voller „Maßlosigkeit in einer auf Maß bedachten Welt“, die nach ihrem Exil Stalins Rußland wieder-sehen mußte und sich 1941 erhängte. Ossip Mandelstam - als ein „moderner Orpheus, der zur Hölle geschickt wurde und nicht zurückkehrte“, „heimatlos im Allunionsmaßstab“ bis zu seinem Tod im Zwangsarbeiterlager 1938 in Wladiwostok. Anna Achmatowa - als die Stolze, Ungebrochene, Schlaflose, deren Liebeslyrik wie ihre politischen Gedichte voll von „gebändigtem Entsetzen“ sind. Sergej Jessenin - als der Bauerndichter und Bilderfürst, der 1915 wie von einem anderen Stern kommend in den Salons der Haupstadt auftauchte, in zehn Jahren mehrere Leben lebte, um ihnen 1925 im Leningrader Hotel „Angleterre“ mit einer Vorhangschnur ein Ende zu setzen.
Ralph Dutli hat mit seinen Übersetzungen aus dem Russischen in den letzten Jahren neue Maßstäbe der Lyrik-Übertragung gesetzt. Raoul Schrott, der Dichter der Hotels, der Tropen und der phänomenalen Anthologie Die Erfindung der Poesie, stellt an diesem Abend seine Nachdichtung von Jessenin und Brodsky vor. Was die beiden im Schilde führen? Ein Fest der russischen Poesie! Aus Freude an der Fülle der Poesie dieses Jahrhunderts, und mit jener Dankbarkeit der Poeten, zu der sich Joseph Brodsky in seinem New Yorker Exil 1980 bekannte:
Was soll ich denn sagen vom Leben? Es dauert schon lange.
Solidarisch fühl ich mich allein mit dem Kummer.
Doch solange sie mir das Maul nicht mit Lehm vollschlagen
Wird aus ihm nichts als Dankbarkeit kommen.
Mit dem Strohhalm trinkst du meine Seele.
Ihr Geschmack ist, ich weiß, cocktail-bitter.
Nur die Folter nicht stören durch Flehen.
Meine Ruhe - seit Wochen ein Mittel.
Anna Achmatowa, 10.Februar 1911.
Aus dem Russischen von Ralph Dutli
Bald ist es dreizehn jahre her seit
sich die nachtigall aus der voliere stahl
und davonflog. Die pillen nimmt
der Bogdykhan nach dem abendmahl
mit dem blut eines abgestraften schneiders
als wär’s wein;
er lehnt sich in die kissen schaltet
die mechanische puppe ein.
Joseph Brodsky, Briefe aus der Ming-Dynastie, 1977.
Aus dem Russischen von Raoul Schrott
„Mit dem Strohhalm
trinkst du meine Seele“
Ralph Dutli
und
Raoul Schrott
lesen russische Lyrik des 20.Jahrhunderts:
Gedichte von
Ossip Mandelstam, Marina Zwetajewa,
Anna Achmatowa, Sergej Jessenin, Joseph Brodsky
(russisch./deutsch)
Bayerische Staatsbibliothek, Sitzungssaal
Ludwigstr.16, 1.Stock, links
(U 3 / U 6 Universität)
Ein Abend in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsbibliothek.
Im Anschluß an die Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.
Eintritt: DM 10,- / DM 7,-
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei