Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Anja Utler, geb. 1973 in Schwandorf (Oberpfalz), studierte Slavistik, Anglistik und Sprecherziehung. Sie promovierte 2003 mit einer Arbeit über „’Weibliche Antworten\' auf \'menschliche Fragen\'? Zur Kategorie Geschlecht in der russischen Lyrik (Z. Gippius, E. Guro, A. Achmatova, M. Cvetaeva)“. 1999 erschien ihr Gedichtband „aufsagen“, 2004 der Ge-dichtband „münden - entzüngeln“. Im Jahr 2003 erhielt sie den Leonce-und-Lena-Preis.
Anja Utlers Dichtung führt unmittelbar an den Ursprung der Sprache in Kehlkopf und Gurgel. Glucksend und Blasen werfend, rauh und brechend, zischend und bisweilen auch singend erhebt sich der Atem über den inneren Wasserspiegel. Sumpfgebiet, Röhricht und Uferland gleicht das, wovon diese Stimme spricht, wozu diese Stimme wird: In präpersonaler Verschmelzung entfaltet sich körperliches Sprach-Bewußtsein als Landschaft. Auch Mythen werden dieser Poetik anverwandelt: Daphne stürzt sich fliehend in die Flußgestalt ihres Vaters, der sie daraufhin in ihrem Lorbeerleib durchströmt; der geschundene Marsyas verwächst mit dem Baum, an dem er hängt. Nimmt man die Schlußsequenz des Bandes hinzu, die der Sibylle (als Hommage an Marina Cvetaeva) Gestalt verleiht, läßt sich Anja Utlers Poetik als anti-apollinisch bezeichnen: Apolls Opfer finden zu einer rhythmischen Sprache, die verfestigte Sinngefüge auflöst und das Sprechen als äußerste Freiheit des Atems erfahrbar macht.
Thomas Poiss, geb. 1959 in Wien, Klassischer Philologe an der Humboldt-Universität zu Berlin. Veröffentlichungen zu antiker und moderner Lyrik; Rezensionen moderner Literatur in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Th. Poiss ist Kuratoriumsmitglied des Lyrik-Kabinetts und stellte hier u.a. die Dichter Horaz (1994), Les Murray (1999), Pindar (in der Übersetzung von Uvo Hölscher, 2003) und zuletzt Mörike als Übersetzer aus den Klassischen Sprachen (2004) vor.
aufschrecken, schließlich, und finde:
den kehlkopf entkernt ist
gehöhlt ihn: betasten die hände,
sie: nesteln, gefiedert, vom
brustkorb ab flechten sich
tiefer ins: schilf schlucken: licht,
gurgeln, dunkel ja, dämmrig
sie: stricken kielwärts ja kehlwärts
sich: hohlräume, mulden aus
halmen aus fingern aus (..)
gleichsam:den dommeln zu − nistplatz,
im singenden rohr heißt es − will wie
verfangen sein − treibgut − vernäht
werden bis in die: stimmritze raschle
fast zittre ich höre dich wieder: sagst
lied sagst du lied − was ist: lied
Anja Utler
Aus: münden – entzüngeln (2004)
„münden – entzüngeln“
Anja Utler
liest aus ihren Gedichten.
Einführung: Thomas Poiss
Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3 / U6 Haltestelle Universität)
Nach der Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats/Literatur
Eintritt: €5,50 / €3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei