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Neueste deutsche Lyrik IV

Von Ingeborg Bachmann stammt die Formulierung, in der Gegenwart gebe es eine „Blicktrübung“ für Gedichte. Während die neuesten Romane, Erzählungen und Dramen von der literarischen Öffentlichkeit meist unmittelbar wahrgenommen werden, brauchen Gedichte in der Regel Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis sie sich im Bewußtsein der Leser einen Platz erobert haben, und auch das gelingt immer nur einer kleinen Zahl. Daran hat sich seit den 50er Jahren nichts geändert, auch wenn gelegentlich von einem „Lyrik-Boom“ die Rede war.

Diesem Mißverhältnis möchte die Veranstaltung begegnen – und die beiden ersten Abende haben gezeigt, dass hieran seitens der Leser ein lebhaftes Interesse besteht: Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, sich in einer Gesprächssituation unter wissenschaftlicher Leitung mit der deutschsprachigen Lyrik der Gegenwart zu beschäftigen und dabei ihren Blick für Gedichte zu schärfen. Gegenstand der Diskussion ist die aktuelle Lyrik in ihrer ganzen Breite und Vielschichtigkeit: Poesie, Poetik und Kritik.


Textgrundlage des 4. Abends: Seit Februar dieses Jahres nutzt Robert Gernhardt das Medium Fernsehen für die Distribution seiner Lyrik: Im Rahmen von Druckfrisch, der neuen Literatursendung der ARD, trägt er einmal im Monat ein Sonett zur Lage der Nation vor. Die bisher vorliegenden Texte beziehen sich satirisch-kritisch auf den Irak-Krieg. Im Kontext des Diskurses über den Krieg und der Tradition politischer Sonettdichtung wird nach der Leistung dieser Sonette zu fragen sein. Siehe: www.daserste.de/druckfrisch


Frieder von Ammon, geb. 1973 in München, Studium der Neueren deutschen Literatur, Musikwissenschaft u. Komparatistik in München und Portland, Oregon. Arbeitet an seiner Dissertation und als wiss. Mitarbeiter für Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

 

SONETT VOM ENDE DER SPASSGESELLSCHAFT

IN DIESEM UNSEREM LANDE



Ein Land macht ernst. Seit jene Türme fielen,

fiel auch der Groschen: Nun ist Schluß mit lustig!

Ein Eiseshauch Verachtung, frostig, frustig,

streift seither die, die noch mit Worten spielen,


Die noch ihr Volk mit eitlen Ironien

auf schiefer Tali zu schildern glauben

und unbeirrt vom Krieg nach Witzen klauben,

anstatt geschlossen in den Ernst zu ziehen -:


Getreu dem Vorbild dessen, der seit Wochen

mit grimmer Miene heilgen Krieg verkündigt,

als Rächer und Prophet von eignen Gnaden.


Kein Lächeln hat dies Antlitz überkrochen,

mit keinem Scherz hat er sich je versündigt:

Des Terrors Ernstbold Usama bin Laden.

 

Robert Gernhardt

Neueste deutsche Lyrik IV

Thema:

Robert Gernhardt – Sonette zur Lage der Nation


Diskussionsrunde

(ohne den Autor)

unter der Leitung von

Frieder von Ammon

 

Mittwoch­, den 25.06.2003
20:00 Uhr

Lyrik-Bibliothek, Schellingstr. 3 / Rg.

(U 3 / U 6 Universität)

Nach der Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.

Eintritt: frei