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Raturer outre - Streichend schreiben

In dem umfangreichen poetischen Werk von Yves Bonnefoy nimmt „Streichend schreiben“, das auf Französisch 2010 erschien, eine bemerkenswerte Sonderstellung ein: Nie zuvor hat er einen Gedichtzyklus geschrieben, der ausschließlich Gedichte in einer einzigen strengen Form enthält. Bonnefoy hat sich für die Form des Sonetts entschieden, vierzehn Verse, verteilt auf zwei Quartette und zwei Terzette. Die Notwendigkeit, auf engem Raum jede nicht absichtliche Wiederholung auch der kleinsten Vokabel zu vermeiden, hat bestimmte Gedanken, Bilder ausgelöscht, unterhalb von denen andere aufgetaucht sind. Der Zwang wurde ein Bohrer, drang durch verschiedene Ebenen der Abwehr, schuf Zugang zu Erinnerungen, die verschlossen, wenn nicht gar unterdrückt geblieben waren. Das ist es, was Bonnefoy „raturer outre“ nennt, „streichend schreiben“. Entstanden ist eine außerordentlich dichte Reflexion über die Erinnerung und die Kindheit, die Zeit und das Alter.

Eine Photographie

Die schäbige Photographie!
Eine schrille Farbe entstellt
diesen Mund, diese Augen. Das Leben
durch Farbe verhöhnen war damals normal.

Doch ich hab ihn gekannt, dessen Gesicht
man einfing in diesem Netz. Ich seh ihn,
scheint mir, hinuntergehen zum Kahn. Bereits
das Fährgeld zur Hand, wie wenn einer stirbt.

Ach, wehte ein Wind durch das Bild, der Regen
wüsch’ es, lösche es aus! Zeigten sich nur
unter der Farbe die tropfnassen Stufen!

Wer war er? Was hat er erhofft? Nichts hör ich
als seinen Schritt, zögernd hinaus in die Nacht,
linkisch, hinab, ohne helfende Hand.

Yves Bonnefoy, aus: Raturer outre – Streichend schreiben
zweisprachig; übersetzt von E. Edl und W. Matz (Lyrik Kabinett 2012).

Raturer outre - Streichend schreiben

Yves Bonnefoy
liest aus
Streichend schreiben. Gedichte
Deutsch von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz

(Lyrik Kabinett 2012)

Durch den Abend führen:
Elisabeth Edl und Wolfgang Matz

(Lesung französisch – deutsch)

Mittwoch­, den 13.06.2012
20:00 Uhr

Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3/U6 Haltestelle Universität)

Eintritt: €7,00 / €5,00
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei