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"Sprachspeicher"

Thomas Kling wurde 1957 in Bingen geboren („In Bingen ging ich als Bingä Bub ziemlich gut durch“); Kindheit und Jugend in Düsseldorf; lebte in Wien, Finnland und Köln, lebt und arbeitet heute auf der ehemaligen Raketenstation Hombroich bei Neuss am Niederrhein. Erster Auftritt 1983 in Wien, wo er – wie auch im Kölner Raum - einem Lyrik-Publikum bereits bekannt war, noch bevor 1986 die Erprobung herzstärkender Mittel als Buch erschien. Inzwischen liegt ein vielbändiges Werk vor – der letzte Gedichtband Fernhandel (mit CD) erschien 1999. Seine Archäologie des Poetischen verfolgte Kling weiter mit den Bänden Botenstoffe und Sprachspeicher (2001). Soeben ist bei Kleinheinrich (Münster) sein Mappenwerk Zinnen erschienen, im August 2002 erscheint sein neuer Gedichtband Sondagen (ebenfalls mit CD).

 

... materialistische Genauigkeit muß sein bei Kling, weil er selbst sie für das Sprachmaterial immer wieder fordert. Nur keine geistesgeschichtliche Deutungsgeschichte, überhaupt: nicht jenes sang- und klanglose Klima der höheren Einsicht ... Es muß klingen! In Rhythmus, Versmaß, Prosodie lebt ein Gedicht. So war es bereits in vorhomerischen Zeiten, und so soll es heute sein. Da geht Kling auch archaischen Spuren nach: dem Vers als Gedächtnisspeicher und als magisches Instrument, als Memorizer und Effektmaschine. Der Autor streift Vorgeschichte und Ethnologie, Physiologie und Anthropologie, ohne sich bildungsmäßig zu spreizen. Im Gegenteil. Klings enorme Bildung ... trägt jene seltenen autodidaktischen Züge, die nur entstehen, wenn man seinen eigenen Pfad in die Fülle des Wissens gebissen hat. Und der Geschmack daran überträgt sich... (Hubert Winkels)

 

„es tut mir leid: gedicht ist nun einmal: schädelmagie“

 

Kling ist Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung.

Preise u.a.: Else-Lasker-Schüler-Preis (1994), Peter-Huchel-Preis (1997), Kritikerpreis (2000), Ernst-Jandl-Preis (2001).

 

Frieder von Ammon, geb. 1973 in München, Studium der Neueren deutschen Literatur, Musikwissenschaft und Komparatistik in München und Portland, Oregon. Arbeitet an seiner Dissertation und als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

 

Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen.

Nû entfürhte ich niht den hornunc an die zêhen,

und wil alle boese hêrren dester minre flêhen.

Der edel künec, der milte künec hât mich berâten,

daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân.

Mîn nâhgeburen dunke ich verre baz getân:

Sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs als sî wîlent tâten.

Ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc.

Ich was sô voller scheltens daz mîn âten stanc:

Daz hât der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc.

 

Walter von der Vogelweide

 

Ich hab mein lehen

– hallo ihr – ich hab mein lehen!

jetzt fürcht den feber-frost ich nicht mehr an den zehen,

und werde kaum die knauser noch anflehen.

der edle könig, der große könig, der hat sich bedacht,

daß ich im sommer kühlung, warm im winter hab.

die szene glaubt mich aufgestiegen, fern dem bettelstab:

sie sieht micht nicht an als kobold, wie sie es früher hat gemacht.

ich bin zu lange arm gewesen, schuldlos, ohne dank.

ich hab nur schreien können, daß mein atem stank:

das hat der könig klargemacht – natürlich auch meinen gesang!

 

Aus dem Mittelhochdeutschen von Thomas Kling

 

"Sprachspeicher"

Thomas Kling

stellt seine Gedicht-Auswahl aus

Mittelalter (z. T. in eigener Übersetzung)

und Barock vor.

 

Einführung: Frieder von Ammon

Dienstag­, den 18.06.2002
20:00 Uhr

Bayerische Staatsbibliothek, Sitzungssaal

Ludwigstr.16, 1.Stock, links

(U 3 / U 6 Universität)

In Zusammenarbeit mit der
Bayerischen Staatsbibliothek.

Eintritt: € 5,50 / € 3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett sowie Freunde und Förderer
Bayer. Staatsbibliothek: freier Eintritt