Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
„Time capsules“ – ‚Zeitkapseln’ nannte Andy Warhol seine Pappschachteln, in denen er Dinge für die Nachwelt sammelte und verschloss. Das Lyrik Kabinett erschließt in seiner neuen Veranstaltungsreihe „Zeitkapsel“ in Kooperation mit dem Deutschen Literatur Archiv, Marbach, dessen Schätze an Poetennachlässen und führt die Hörer – durch die Kästen des Archivs – rückwärts in der Zeit. Einige Originale der vorgestellten Dichter werden dabei auch jeweils gezeigt.
Wer erinnert sich noch daran, dass Paul Celans „Mohn und Gedächtnis“ in Stuttgart veröffentlicht wurde? Es waren weder S. Fischer noch Suhrkamp, Celans spätere Verlage, die den jüdischen Dichter 1953 präsentierten, sondern die Deutsche Verlags-Anstalt. Celans erstes Buch enthielt mit der „Todesfuge“ das vielleicht wichtigste Gedicht der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, und in den 50er Jahren war der 32-Jährige bei der DVA in guter Gesellschaft. Jan Bürger wirft einen ersten Blick in das Archiv des Verlags, das sich seit 2010 in Marbach befindet, und stellt zusammen mit Helmut Becker bekannte Gedichte und größtenteils unbekannte Briefe von Celan, Nelly Sachs, Johannes Bobrowski und Gottfried Benn vor.
Jan Bürger, geb. 1968, in Hamburg über Hans Henny Jahnn promoviert. Seit 2002 im Deutschen Literaturarchiv Marbach: Leiter des dortigen „Siegfried Unseld Archivs“. Von ihm erschienen u.a. „Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt“ (2006) und „Max Frisch: Das Tagebuch“ (2011).
Zähle die Mandeln,
zähle, was bitter war und dich wachhielt,
zähl mich dazu:
Ich suchte dem Aug, als du’s aufschlugst und niemand dich ansah,
ich spann jenen heimlichen Faden,
an dem der Tau, den du dachtest,
hinunterglitt zu den Krügen,
die ein Spruch, der zu niemandes Herz fand, behütet.
Dort erst tratest du ganz in den Namen, der dein ist,
schrittest du sicheren Fußes zu dir,
schwangen die Hämmer frei im Glockenstuhl deines Schweigens,
stieß das Erlauschte zu dir,
legte das Tote den Arm auch um dich,
und ihr ginget selbdritt durch den Abend.
Mache mich bitter.
Zähle mich zu den Mandeln.
Paul Celan, aus: Mohn und Gedächtnis (1935)
Zeitkapsel I
Celan, Bobrowski, Sachs –
die Lyrik der Deutschen Verlags-Anstalt
Ein Abend mit Jan Bürger
Sprecher: Helmut Becker
Mit Originalen von Benn, Celan, Sachs und Bobrowski aus dem DLA
Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3/U6 Haltestelle Universität)
In Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach
Eintritt: €7,00 / €5,00
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei