Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Marcel Beyer: „Schlupflöcher zwischen Buchstäblichkeit und Welt können sich an unerwarteter Stelle auftun, womöglich insbesondere dort, wo ein Schockerlebnis die Wirklichkeit mitsamt der Buchstäblichkeit in den Abgrund zu reißen scheint. So erging es mir, als ich im Frühjahr 2009 immer wieder an die Einsturzstelle des Historischen Archivs der Stadt Köln zurückkehrte. Gleich um die Ecke hatte ich Anfang der neunziger Jahre gewohnt. Nun schaute ich hinunter in eine Grube: Mörtelstaub, Manuskripte. Fünf Jahre später begann ich selbst zu graben und stieß auf den mittelalterlichen Spruchdichter Muskatblut, oder Muskatplüt, oder Muschatblut (um 1390 – nach 1439), auf einen Dichter also mit labilem Namen, dessen Gedichte um das Dichten wie um das Ende des Dichtens als Bestand jenes Archivs in einem labilen U-Bahnschacht verschwunden sind – Anlass genug, beim Blick in den Krater noch einmal über Zauber und Gewalt der Buchstäblichkeit nachzudenken.“ Marcel Beyer, geboren 1965, lebte lange im Rheinland, seit 1996 in Dresden. Romane, Essays, Libretti, Gedichte: Falsches Futter (1997), Erdkunde (2002), Graphit (2014).
Seht, ich habe mich gefreut
über den Sommer, klage jetzt,
alle Freude ist weg.
Ich habe meine Tage verbraucht,
kaputt gemacht, aus Leichtsinn.
Er hat mich verfolgt,
der mich blau machen kann,
mein Glück mich betrogen.
Mein Kopf ist grau,
mein Rücken krumm,
meine schmalen Wangen blass.
Ich wanke auf der Erde,
meine Augen sind rot. Und ich klage jetzt, Gott,
dass es nie um sie ging:
Maria, die Vortreffliche.
Muskatblut/Muskatplüt
Lied 18, Strophe 3; aus dem Mittelhochdeutschen von Tristan Marquardt
Zwiesprachen V
Marcel Beyer
über
Muskatplüt
Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3/U6 Haltestelle Universität)
Gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG) aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
sowie durch das Kulturreferat der LH München
Eintritt: €7,00 / €5,00
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei