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Beileibe und zumute
Ursula Krechel liest aus ihrem neuen Band
(Jung und Jung 2021)

Einem breiten Publikum wurde Ursula Krechel mit ihren drei großen Romanen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts bekannt. Für Landgericht – die Geschichte eines Juristen, der nach Jahren des erzwungenen Exils zurückkehrt in ein zerstörtes und verheertes Land – erhielt sie 2012 den Deutschen Buchpreis. Doch seit den Anfängen ihres Schreibens fühlt sich Ursula Krechel auch der Poesie verpflichtet. Mehr noch: Die Lyrik ist zentraler Teil ihres literarischen Werkes. Und sie ist, so betont die Schriftstellerin gerne, nicht nur ein Vorhof zu den zeithistorischen Romanen. Das Gedicht vergleicht sie unter anderem mit kleinen Denksteinen und Denkstellen. Ursula Krechels neuer Gedichtband Beileibe und Zumute zeigt das einmal mehr, egal, ob die Stimme von einem Marienkäfer in einer Tasse Milch erzählt, im Oktober von Schneeglöckchen träumt oder die „Gier nach Gegenwart“ ergründet: „Gestern war gestern und zählt nicht / erzählt wird im Irrealis, das Präteritum starb …“ Und ganz nebenbei wird in der Poesie, mit den vielen Denksteinen, eine solche Gegenwart ohne Vergangenheit durchbrochen.

Ursula Krechel, 1947 in Trier geboren, lebt als Autorin von Romanen, Gedichten, Essays und Theaterstücken in Berlin. Für ihr Werk wurde sie vielfacht ausgezeichnet, unter anderem mit dem Joseph-Breitbach-Preis und Jean-Paul-Preis, seit 2020 ist sie Ehrenpräsidentin des PEN-Zentrums Deutschland.

Niels Beintker, geboren 1975, in Halle/Saale, ist Redakteur in der Redaktion Kultur aktuell des Bayerischen Rundfunks und dort unter anderem für die Sendungen Kulturjournal und Diwan verantwortlich.

Gibt es einen Einwand, der vergessen worden ist?

Der Denkende kommt zu spät, wenn er sagt: Ich denke
dachte ich, oder das Denken hat ihm einen Streich gespielt

den er schlecht pariert, hoffnungslose Rückständigkeit
der Sinne, die Kunstgenuss ermöglichen, Glücksempfinden

dichtet den Raum ab, Wände, die haushoch überlegen
Baumgruppen, Gräben, Dornengestrüpp, Zischelwind –

Bist du allein? Jähes Schweigen, das wie eine Sprache ist
die er nicht hört. Zöglingsfrage, huschender Schatten

der den Schädel streift, besser: Hirn ohne Schädel. War
das ein Machen oder etwas Liegengebliebenes, aufgehoben

von wem (und sorgsam verwahrt)? Erinnerungsverlängerung
Dialektik des Aufhebens: Etwas existiert, wo es nicht war.

Ursula Krechel, Beileibe und Zumute, Jung & Jung 2021, S. 5.

Beileibe und zumute

Ursula Krechel
liest aus ihrem
neuen Band
(Jung und Jung 2021)

Moderation:
Niels Beintker (BR)

Mittwoch, den 26.05.2021
19:00 Uhr

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