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Eine Brücke aus Papier: 
Nachtzug nach Mariupol

Nachspiel zum Vierten deutsch-ukrainischen Schriftstellertreffen 2018 in Mariupol am Asowschen Meer/Ukraine

Dass das Schriftstellertreffen von Mariupol ein Ausnahmetreffen sein würde, ließ sich schon bei der langen Anreise über Wien und Dnipro und vor allem der vielstündigen Fahrt im Nachtzug von Dnipro nach Mariupol in ausrangierten Schlafwagen der DDR-Reichsbahn ahnen. Bei der Ankunft in Mariupol zeigen sich dem Auge die gigantischen, den ganzen Horizont ausfüllenden Stahlwerke, die ihre Emissionen ungefiltert in nie unterbrochenen Rauchfahnen in die Luft abgeben. Trotz dieses Wissens, ein beeindruckender Anblick. Das Asowsche Meer dann, das die Ankommenden scheinbar erlösend empfängt, sollte trotz der Verlockung wegen Verseuchung nicht zum Baden genutzt werden. In der Luft bedenklicher Geruch. Vom nahen Krieg hört und sieht man nichts. Nur zwanzig Kilometer hinter der Stadt jedoch verläuft die Frontlinie, die Grenze zu Russland ist ähnlich nah. Und jeder, der sich länger in Mariupol aufhält, spürt die Nähe des Krieges.

Hier trafen sich vier Tage lang ukrainische und deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller in öffentlicher Runde. In Lesungen und Vorträgen lernten sie sich kennen und begegneten den Menschen der durch den Krieg isolierten Stadt, die sich offen für ein internationales Literaturprojekt zeigte. Dieser Aufenthalt, zu dem auch der Besuch eines Stahlwerks gehörte, hinterließ bei allen, die dabei waren, Spuren. Der Abend Nachtzug nach Mariupol will mit Lesung, Gespräch und Film etwas von der Mariupol-Erfahrung an das Münchener Publikum weitergeben.

Noemi Schneider: 
Im Nachtzug nach Mariupol

Taktloses
Rattern
im DDR-Luxusabteil. 

Die verdreckten Fenster lassen sich nicht öffnen
wegen der Klimaanlage,
die ist
außer Funktion.Wir
wälzen uns
schwitzend
auf unseren weichen Pritschen
und balancieren
Pappbecher in der Hand,
billige Zigaretten im Maul
zwischen den Wagons
hin und her.

Zerdeppern die Weinflasche
aus Versehen
werfen die Kippen
durch den Luftspalt
auf die
Gleise
schwanken zurück ins Abteil
schaukeln durch die Steppe
600 Kilometer in 12 Stunden
und trinken
schwarzen Tee aus Gläsern 

im Sonnenaufgang.

****

Anja Kampmann:
Dnipro

In der abendglühenden Luft
die irgendwie matt ist, unklar
mit dem deutlichen Geruch von Industrie-
anlagen, mit den großen blauen Zügen
Loks, langsam, fast lautlos
im untergehenden Licht
vereinzelt     
Soldaten
mit freiem Oberkörper
eine Frau mit Gebäck
Geschwister, ein Junge und ein kleines Mädchen
halten sich an den Händen
vor einer Säule die silbrig glänzt
wie alle Säulen hier
und das Licht das alles
verlangsamt
mit den Geräuschen
und in die Geräusche hinein
einsteigen
Dämmerung, die Flussunruhe
und der Geruch der keinen von uns
entlässt
Die Nervosität ist breitbeinig
sie hat müde Freundinnen
in kurzen Jeans
sie glaubt nicht alles was du sagst
oder sagen möchtest
übers Wiederkommen

Gastveranstaltung

Eine Brücke
aus Papier: 
Nachtzug nach Mariupol 

Gespräch und Lesung mit
Anja Kampmann
(Leipzig)
Alexander Milstein
(München)
Hans Pleschinski
(München)
und
Noemi Schneider
(München und
Weiler im Allgäu)

Erstvorführung
des Films
von Wanja Nolte 
über das Treffen
von Mariupol 

Moderation:
Verena Nolte

Montag, den 03.12.2018
20:00 Uhr

Lyrik Kabinett
Amalienstr. 83a
80799 München

Veranstalter:
Kulturallmende München,
Eine Brücke aus Papier


Eine Brücke aus Papier wird gefördert von
Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst
Kulturreferat der Landeshauptstadt München

Eintritt frei!