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Wohin mit den Augen 
Joachim Sartorius liest aus seinen Gedichten
Moderation: Sandra Kegel

Der Mensch fürchtet die Zeit. Die Zeit fürchtet das Gedicht – so hat Joachim Sartorius 2017 seine Münchner Rede zur Poesie überschrieben und verficht darin, dass Gedichte der Zeit Widerstand leisten. Im Einklang damit sind seine neuen Gedichte Aufstände gegen die Vergänglichkeit. Als Augenmensch lehrt er die ihm vertrauten Orte – Tunis, Alexandria, die Levante – neu sehen. Im Zentrum steht die sizilianische Stadt Syrakus, Gedächtnisort und eine gleißende Erfindung der Erinnerung. Aufgehellt wird der existenzielle Ernst durch ein mehrteiliges Capriccio über eine türkische Katze und ihren funkelnden Übermut … Geboren 1946, in Tunis aufgewachsen, war Sartorius 1996-2000 Generalsekretär des Goethe-Instituts und leitete 2001-2011 die Berliner Festspiele. Er ist Übersetzer aus dem Englischen, Herausgeber wichtiger Anthologien (Atlas der neuen Poesie, Minima Poetica und von Niemals eine Atempause. Handbuch der politischen Poesie im 20. Jahrhundert) und Mitherausgeber der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter. Seit 2021 leitet er auch das Kuratorium der Stiftung Lyrik Kabinett. Über den jüngsten Band seiner bislang neun Gedichtbände schreibt Martin A. Hainz auf www.literaturkritik.de: „Sartorius ist ein wunderbarer Band geglückt. Die unverwechselbare Stimme dieses Lyrikers nimmt dem nichts, was wie von selbst aufscheint, sie fügt Brüche ein, die die Räume weiten, ohne etwas zu sprengen – und man liest und staunt …“. Sandra Kegel, geboren 1970, arbeitet sei 1999 bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit 2019 als verantwortliche Redakteurin des Feuilleons, und Jurorin, u.a. für den Preis der Leipziger Buchmesse, den Hölderlin-Preis, mehrfach für den Bachmann-Preis und seit 2021 den Deutschen Buchpreis.

KEDI V

Wenn sie aufwacht, ist sie betäubt von Schlaf
und gähnt noch, wenn sie die Spitze
des Wildbirnbaums erklommen hat.
Sie schaut auf mich herab und gähnt.
Sie gähnt stolz, wie es nur Schneepumas tun.
Ein Gartengeist, der über Mäuse, Frösche, 
Libellen, Sandalen und Amseln wacht.
Warum ist sie so lautlos, so worttot,
nichts als Wahrnehmung und Instinkt?
Nur treuer über die Jahre, das schon.
Mit ihren zweifarbigen Augen dreht sie
eine Runde im Garten und schließt alle Türen.
Die Zukunft, schnurrt sie, ist mir kein Anliegen.
Sind die Falter gelb, ist das Gras welk.

Joachim Sartorius, in: Wohin mit den Augen. Kiepenheuer und Witsch 2021, S. 35.

Wohin mit den Augen

Joachim Sartorius
liest aus
seinen Gedichten

Moderation:
Sandra Kegel

Donnerstag, den 12.05.2022
19:00 Uhr

Lyrik Kabinett
Amalienstr. 83a

Eintritt: € 8 / erm. € 6
Bitte melden Sie sich an:
info (at) lyrik-kabinett.de.
Zu Ihrer Sicherheit:
Im Lyrik Kabinett besteht
FFP2-Maskenpflicht;
es sind zwei starke,
geräuschlose
Hepa-Luftfilter im Einsatz.


Die Lesung ist wenige Tage nach der Veranstaltung nachzuhören auf www.dichterlesen.net.